Die Nicht-Wir

Maximilian Wust - Die Nicht-Wir

Die Nicht-Wir
Ein Pseudo-Blog von Maximilian Wust

Blog von Matze der Motzer, 29.11.2007

SEIEN WIR MAL ehrlich: Die Riesen machen uns Angst.

Ich bin da auch keine Ausnahme. Ich saß heute wieder neben einem, in der Früh, auf dem Weg zur Schule, und bin nicht drum herum gekommen, mich unbehaglich zu fühlen. Nein, ich bin kein Riesenhasser und ich bin auch keiner von diesen „Ich bin ja kein Riesenhasser, aber“-Riesenhassern. Es ist mir einfach nur aufgefallen, dass ich Riesen unangenehm finde. Nicht, weil sie eine Gefahr darstellen oder ich jemals von einem bedroht wurde, sondern einfach, weil es mir so beigebracht worden ist. Der Riesenhass, den wir schon vor Jahren für Tod erklärt haben, war das nie.

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Vorweg sind Riesen eigentlich keine Riesen, also nicht solche, wie Hans am Ende seiner Bohnenranke findet. Sie sind einfach nur ziemlich groß. Während der homo sapiens sapiens auf etwa 1,80 Meter wächst wird, kann es ein homo sapiens igens auf 3,20 schaffen. Das ist groß genug, um furchteinflößend zu sein und für Witze über riesige Penisse herzuhalten (wir alle kennen das Bild von dem Hamster, der an einer Banane knabbert), aber es reicht längst nicht, um ein Kind zu verschlucken. Neben der Tatsache, dass Riesen was von kaltblütigen Pferden haben: Man muss sie schon besonders aggressiv reizen, bevor diese Sturköpfe mit der flachen Stirn auch nur zornig werden.

Warum wir solche Angst vor ihnen haben, ist doch nur einer Sache geschuldet: Sie sind anders. Sie sind nicht wir. Um meine Aussage zu bekräftigen, werde ich sie jetzt auch so nennen, zumindest in diesem Blog: Die Nicht-Wir.

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Die wohl schönste Tradition der Menschheit: Hassen
Der Hass auf die Nicht-wir geht weit zurück.

Vorweg sind sie wohl zum selben Zeitpunkt wie wir entstanden, irgendwann vor so 200.000 Jahren und heute eigentlich überall anzutreffen – außer natürlich in Saudi Arabien, wo man sie nach wie vor bei Sichtkontakt tötet und dafür aus Israel und den USA zustimmende Worte erhält. Im Rest der Welt kommt auf jeden tausendsten Menschen ein Nicht-Wir. Psychologischen Untersuchungen nach sind sie besonnener als wir, etwa auf selben Level der Intelligenz, aber wohl einen Tick weniger misstrauisch. Gemeinhin gelten sie als naiv und leichtgläubig und im Widerspruch dazu als unglaublich stur. Ach ja, und wie vor einem Jahr die ganze Welt auf MyVideo (LINK!) sehen konnte, reicht einer ihrer Schläge, um einen erwachsenen Mann ins Koma zu schicken. Tja, man hätte auch nicht die Menschen-Freundin besagten Riesens als Riesenfickerin bezeichnen und dann vor dessen Augen mit einer Metallstange bearbeiten müssen, aber das sehen die Gerichte in Australien nun einmal anders.

Was vielen Menschen auch Unbehagen bereitet, ist der Auctorismus, die Hauptreligion der Nicht-Wirs. War sie in den 70er Jahren noch unter den Alternativen angesagt, ist sie heute wieder auf einer Stufe mit dem Islam. Was die meisten an ihr nicht behagt, ist übrigens nicht die Tatsache, dass es eine andere Religion ist und das sie von Riesen praktiziert wird, sondern laut Umfragen, dass sie ohne Gott und Propheten auskommt. Bei den Nicht-Wirs gibt es keinen Jehova, ebenso keinen Jesus oder Buddha. In ihrem Weltbild gab es vor vielen Tausend Jahren ein Geschlecht aus weißhäutigen Erbauern, nicht Mensch, nicht Riese, die mit mathematischer Genauigkeit die Landmassen aufhäuften, die Tiere aussetzten und sämtliche Wälder säten. Alles geschieht im Auctorismus aus einem Grund, auch alles Böse und jede Katastrophe. Alles führt, so glauben 61,8% der Riesen, zum Tag der Vollendung, wenn die perfekte Welt erwachsen ist und sich daraufhin daran macht, selbst andere Welten zu erschaffen.

„Dann verstehst du ja, warum ich das hier tue!“, hatte angeblich der christliche Feldherr Marcus Steinmetz von den Tulliern gesagt, bevor er 1128 n. Chr. dreihundert Riesen im Namen eines gütigen Gottes verbrennen ließ. Die Bibel hatte noch nie fiel für ihre Art übrig: So hätten ein paar Engel, die angeblich unfehlbaren Diener Gottes, einmal mehr ihre Fehlbarkeit demonstriert, sich wahllos mit Menschen verpaart und dabei das durch und durch bösartige Riesengeschlecht geschaffen. Die restlichen Geschichten kennt jeder, der in der Westlichen Welt in den Religionsunterricht gegangen ist, von wegen, wie Riesen zuerst alle Kornspeicher Jerusalems leer und dann sämtliche Kinder zum Nachtisch fraßen, wie sie die Frauen Israels stahlen und in der Mitte auseinanderrissen, als sie verstanden, dass sie ihnen keine Kinder schenken können oder wie sie den Propheten Hed in ihrem Urin ertränkten, indem sie ihn vier Tage pausenlos bepissten (wer dabei nicht lachen muss, wurde ohne Humor geboren). Schließlich überflutete Gott sogar die ganze Welt, um dieses Ungeziefer endlich loszuwerden – was aber nicht klappte, weil sich die Riesen ein Floss aus erwürgten Menschen bauten. Also, wenn das mal nicht Grund genug ist, sie für alle Probleme im Leben verantwortlich zu machen!

Der Hass auf die Nicht-Wirs ist wohl so alt wie unsere beiden Rassen. Sogar auf sumerischen Schrifttafeln sollen sie schon mit Dreschflegeln von Feldern gejagt worden sein. In fast jeder Religion gelten sie als bösartig. Ob sie das wirklich sind, ist fragwürdig. Laut Statistik begehen sie seltener Straftaten, aber wer Statistiken zitiert, gilt ja im Allgemeinen als Idiot (es sei denn, er zitiert die, die mit der jeweiligen Meinung übereinstimmen). Und wenn man den Historikern glaubt, gibt es bis auf die Zeit des ersten und letzten Riesenkönigs um 780 n. Chr. keine Aufzeichnung von Genoziden der Riesen an Menschen, andersherum jedoch viele hundert, weltweit. Sogar die Römer beschreiben sie als „zu stur, um Sklaven zu sein und zu gutherzig, um Soldaten zu werden. Erschlagt sie noch wo sie stehen, dann sollen euch die Kinder schon nicht verhungern“. Übersetzung: Kommt, lasst uns was Gutes tun und Riesen ermorden!

Die Katharer sahen es als religiöse Pflicht, die Welt von ihnen zu befreien; im Iran muss ein Staatsführer die Auslöschung ihrer Rasse als Wahlversprechen angeben, um wählbar zu sein und in China machte man sie für so ziemlich alle Probleme verantwortlich, einschließlich dem Einfall der Mongolen, die jedoch eine sehr menschliche Kultur sind – und sich ebenfalls der Ausrottung der Nicht-Wirs verschrieb, wenn auch nur nebenher. Dass man sie während der NS-Zeit auch nur eher diskriminierte und sich beispielsweise in Schweden damit zufrieden gab, sie „nur“ zu sterilisieren, liegt vermutlich am Übermenschentraum, den man damals propagierte. Riesengroßen, unglaublich robusten und wahnsinnig starken Menschen konnte man wohl das Attribut von körperlicher Überlegenheit nicht einfach so aberkennen.

Es ist nicht einmal so, dass uns die Nicht-Wir als Rasse verdrängen würden. Oder könnten. Sie vermehren sich ihrer Lebensdauer entsprechend zu langsam. Ein Menschenmann kann in seltenen Fällen eine Riesin schwängern, sie wird aber fast immer ein schwer behindertes Kind bekommen. Menschenfrauen dagegen müssen Riesenhormone schlucken, um überhaupt nur eine geringe Chance auf Empfängnis zu haben, wobei auch dann der Embryo selten länger als drei Monate überlebt. Genetisch sind wir praktisch nicht kompatibel, weshalb wir und die Nicht-Wir auch noch nicht längst zu einer Rasse verschmolzen sind – so wie wir und die Neandertaler.

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Warum aber all diese Vorurteile? All dieser Hass?
Weil sie sich verteidigen, wenn man zu zehnt mit Mordabsichten auf sie losgeht, so wie es in Marokko zum guten Umgangston gehören zu scheint? Weil sie dank ihrer robusten Physiologie Autounfälle häufiger überleben? Weil man für sie extra große Türen und Sonderbereiche in Flugzeugen einbauen muss? Weil man sie nicht einfach so anpöbeln kann, wenn man schlecht drauf ist? Weil sie anders sind?

Ich glaube, vor langer, langer Zeit einmal, lange bevor der erste homo sapiens sapiens geboren wurde, waren der Hass auf alles Andersartige und Gruppenzugehörig ein wichtiger Bestandteil des Überlebenskampfes. Wir lebten in Rotten an Wasserlöchern, umgeben von Jagdgründen, die gerade so unsere Zahl versorgen konnten. Neuankömmlinge oder Fremde bedeuteten, dass wir unsere ohnehin begrenzten Mittel nur noch weiter teilen mussten. Viele Neuankömmlinge kündigten wohl meist einen bevorstehenden Kampf an, der eine von beiden Gruppen vom Wasserloch verjagen wird, was für den Verlierer stets Ungewissheit oder Tod bedeutete. Ich will gar nicht wissen, wie viele verdrängte Rudel und Stämme in der Ödnis verendeten.

Also passten wir uns wohl entsprechend an. Wir erklärten einfach jeden zum Nicht-Wir, Menschen wie Riesen, töteten die Späher anderer Stämme, so dass der Rest gar nicht erst nachkam und begrüßten Fremde mit Pfeilen und Speeren, so dass sie lieber gleich das Weite suchten. Wir verteidigten den Boden, der uns ernährte, so oft und so solange, bis es sich in unseren Religionen und zum Schluss wohl auch in unserer DNS verankerte. Wie bei der Hausrattenzucht, wo man nur die besonders zutraulichen Exemplare kreuzt, nur andersherum. Wer besonders fremdenfeindlich war, schien deutlich bessere Chancen im Selektionsdruck zu haben. Und ja, die Riesen waren wohl damals dominanter. Groß, stark, von Pfeilspitzen unbeeindruckt haben sie sich wohl öfter neue Jagdgründe genommen, wenn sie sie brauchten. Das hat vielleicht diesen Erbhass begründet. Großes Vielleicht! Ich bin kein Archäogenetiker – oder wer auch immer sich mit sowas beschäftigt. Am Ende jedenfalls waren es wir, die triumphierten. Ob jetzt dadurch, weil wir uns schneller vermehren oder Metallurgie sei mal dahingestellt, aber die Riesen gehen zurück, während wir mehr und immer mehr werden, Milliarde um Milliarde.

Dennoch, die Zeiten des Mangels sind vorbei. Stickstoffdünger und Massenproduktion haben den Hunger aus beinah allen Teilen der Welt verdrängt und Wohnblöcke regelten schlussendlich auch das Problem mit dem Lebensraum. Nahrungsüberschuss hat uns stark gemacht, Medizin groß und langlebig, Heizungen wärmen uns, Medien zerstreuen uns, die NATO wahrt den Frieden. Der Hunger durch Mangel ist längst zum Mangel an Hunger geworden – aber was brauchen wir noch, um alle, die nicht wir sind als wir zu verstehen? Die Riesen sind für niemanden ein Problem. Sie sind nur da. Und nicht wir.

– Maex, 2007

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