Ein Bisschen Krieg

Maximilian Wust - Ein Bisschen Krieg

Ein Bisschen Krieg
Ein Anti-Kriegsdrama von Maximilian Wust



Basiert hoffentlich nicht auf einer wahren Begebenheit. Die Geschichte entsprang nicht aus meiner Phantasie. Ein mir namentlich unbekannter Afghanistan-Veteran erzählte sie gegen 2004 in einem Army-Forum, in dem ich zu Recherchezwecken für einen Roman stöberte.


WAS IST KRIEG?

Oder besser: Willst du wissen, was Krieg wirklich ist?

Spulen wir ein wenig zurück, zum Anfang eines Jahrtausends, das mit zwei Flugzeugen begann, die sich in Wolkenkratzer stürzten. Als die ganze Welt verstand, dass der Islam so sehr eine Religion des Friedens ist, wie das Christentum zur Zeit der Kreuzzüge. Ich verstand damals, dass es keine Religion des Friedens gibt, überhaupt keine. Was immer auch in ihren Glaubensbüchern steht, es ist einfach nur eine Ausrede, um andere für wertlos zu erklären oder gleich umzubringen – weil die Menschen eben so ticken. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zwei Jahre sind die Türme jetzt schon zerbröselt. Über ein Jahr lang kämpft man jetzt schon gegen die Taliban. Du bist Marine, ein Stoppelhopser wie sie alle und kommst frisch nach Afghanistan. Da sind Dienstältere, die anscheinend schon länger hier sein müssen, als es das Land überhaupt gibt und dumme Neulinge, die Krieg mit einem ihrer Videospiele verwechseln und unbedingt mal einen Kamelficker wegpusten wollen. Der Gedanke ans Töten macht sie gruselig geil. Ich würde gerne sagen, dass ich anders war.

Die ersten drei Monate passiert jedoch erstmal nichts. Du patrouillierst Straßen entlang, bewachst Zugänge, wichst dir so oft einen, dass du dich fragst, wie deine Eier immer noch was hergeben können und tust sonst nicht viel mehr, als dich zum Alkoholiker zu machen. Du hast viel Zeit und nix zu tun.

Zwischendrin triffst du einen Sonderling – sagen wir, ein Scharfschütze. Kann auch ein Feuerwerker sein. Spielt keine Rolle. Der Krieg produziert diese Leute am Band. Er erzählt dir von dem Fleisch-Puzzle und wartet, bis du fragst, was ein Fleisch-Puzzle ist, dann holt er aus. Wenn man einen Menschen mit Kaliber Fünfzig erschießt, auf über einem Kilometer Distanz, sieht man doch für eine Millisekunde durchs Zielfernrohr seinen Kopf, bevor er wie ein Soßenglas zerplatzt. Er wird zum Fleisch-Puzzle. Am Anfang ist die Geschichte noch eklig, nach dem zehnten Mal kannst du sie nicht mehr hören. Aber er erzählt sie dir noch zehn Mal. Weil er es nicht mehr anders kann.

Eines Tages jedenfalls, da fahrt ihr dann nach Norden, fünf Laster, in die Berge, wo sich die Taliban immer noch ganz erfolgreich verkriechen. Du bist Fahrer des Lasters an der Konvoispitze, durch reinen Zufall, neben dir sitzt dein befehlshabender Offizier. Ihr liefert Nachschub für irgendeinen Brückenkopf, Essen, Alkohol, DVDs und Kondome. Frische Männer gehen hin, abgenutztes Material fährt wieder zurück.

Auf eurem Weg kommt ihr durch ein Dorf, arm und beschissen wie sie alle. Abgerissene Gestalten sehen euch nach. Sie haben alle nix. Sie wissen alle nix. Plötzlich sind da Kinder auf der Straße. Sie spielen. Du warnst deinen Offizier, der schaut auf, braucht eine Viertelsekunde und befiehlt dir, schneller zu fahren. Drück auf’s Gas!

Warum? Weil das schon seit den 80ern ein Trick der Kamelficker ist. Sie lassen Kinder auf der Straße spielen, so dass feindliche Konvois anhalten. Dann kriechen sie aus ihren Löchern und eröffnen das Feuer. Hat schon so einigen Gutmenschen das Leben gekostet. Jetzt ist man klüger.

Du drückst also aufs Pedal, der Laster wird schneller und du hoffst und betest, dass die Kinder einfach wegrennen. Tun sie aber nicht. Es hört sich an wie ein Klopfen, als ihre Köpfe gegen den Kühlergrill knallen. Sie schreien, Menschen am Straßenrand schreien, der Laster wippt, wenn er über einen der kleinen Körper fährt. Du glaubst, ein Knacken zu hören.

Du siehst einen rennen. Nur für eine Sekunde. Armer Bursche. Vielleicht sechs Jahre alt. Er rennt vor dem Laster weg und kommt einfach nicht auf die Idee, sich auf den Boden zu schmeißen und den Konvoi über sich drüber donnern zu lassen. So könnte er leicht überleben. Stattdessen läuft er panisch dumm wie ein Huhn vor deinem LKW weg. Dann verliert er. Kommt unter die Räder. Dein Laster wippt. Der Laster hinter dir wippt.

Du wirst nie mehr schlafen können.

Nie mehr.

– Maex, 2006

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