Geschichtsstunde der Werbung

Maximilian Wust - Geschichtsstunde der Werbung

Geschichtsstunde der Werbung
Ein Blog von Maximilian Wust



Dieser Blog hat eigentlich keinen Zweck, außer die Funktionen der Website zu testen. Er könnte aber trotzdem lesenswert sein.


LOOK AT ME!!1
SEIT ES DAS Leben gibt, gibt es die Werbung.

Sich unter den Artgenossen auffällig machen, ist so sehr Teil des Lebens wie die Paarung, der es im Regelfall diente. Die Methodik hat sich seitdem auch nicht verändert: Es geht und ging immer darum, die eigene Qualität verkaufen und möglichst viele oder gute Abnehmer finden – ob nun für die eigenen Erzeugnisse, angekaufte Waren oder eben Samenzellen.

Die Werbung in der Natur ist so ziemlich jedem bekannt: Fellfarben, buntes Gefieder oder der Beweis von Körperkraft, in dem man mit den Hörnern voraus gegen ein anderes Männchen rennt. Der Pfau trägt sein auffallendes Gefieder aus Gründen der Werbung, genauso wie der Hahn. Vögel singen, um auf sich aufmerksam zu machen, Spinnen zupfen an den Netzen ihrer potenziellen Partnerinnen. Feingefühl und Takt können hier zwischen Leben und Tod entscheiden. Sogar die vor 500 Millionen Jahren lebenden Trilobiten kannten eine ganze Sammlung an Werbetricks.

Der Mensch hob dieses Prinzip zuerst auf die nächste Stufe, indem er aus dem Wunsch nach Auffallen den Individualismus erschuf. Er flocht sich Perlen oder Knochen in die Haare, trieb sie sich durch die Lippe oder die Nase und schmückte sich auf nie da gewesene Art mit fremden Federn. Natürlich war nicht der Erste, das die Leichen anderer Lebewesen für Werbezwecke nutzte, aber der Erste, der sie ausweidete, mit bizarrer Detailgenauigkeit abschabte und als Mantel trug. Ein Löwenfell – das war der Ferrari neolithischer Stämme. Fuchsschwänze am Speer bewiesen in den indogermanischen Kulturen zumindest einen Sinn für Mode, vergleichbar mit dem heutigen Polo-Shirt.

Bis heute wissen Archäosoziologen nicht eindeutig, ob der Mensch die Kleidung erfand, um sich vor Kälte und Witterung zu schützen oder um das andere Geschlecht auf sich aufmerksam zu machen – oder ob das eine werbewirksam aus dem anderen resultierte. So oder so erfand er den Schmuck praktisch zeitgleich mit der Kleidung.

Schon die ersten Frühmenschenfunde zeigen Halsketten oder Armbänder aus Muscheln und Schneckenhäusern oder sogar komplexe Bruststücke aus Zähnen und Knochen. Besonders die Überreste gefährlicher Raubtiere symbolisierten nachvollziehbar Stärke und Wohlstand. Fremde Federn waren eine gängige Methode der Werbung – die Federkrone der nordamerikanischen Indianer hatte keinen anderen Zweck, bevor sie von westlicher Industrialisierung und Maßanzügen abgelöst wurde.

Die Scham war übrigens der erste große Marketingtrick der Menschheit. Durch das Verdecken von Geschlechtsorganen und diversen erogenen Zonen wurden diese rar, nicht jedem und nicht überall zugänglich und damit noch begehrenswerter.

Coca-Cola-Werbung um 1900 herum.
Abb. 01: „Oh, welch herrlich Zuckerwasser meine Kehle heut benetzt.“

Aus Werbung wird Marketing
Es war etwa im 5. bis 4. Jahrtausend v. Chr., mit der Entstehung der ersten Märkte, da wurde die schlichte Werbung zu Marketing. Die Menschheit begann damals, sich in Mesopotamien und China zu zivilisieren. Aus gelegentlichen Tauschhandel zwischen Stämmen wurden regelmäßig besuchte Handelsplätze, das erste Geld entstand, die ersten Formen der Globalisierung und mit ihnen der Berufsstand des professionellen Warentauschers, später auch Händler genannt. Der gelegentliche Warentausch auf neutralem Boden wandelte sich zu Kundenkontakt auf täglicher Basis. Konkurrenz entstand und ihr folgte ein alter Bekannter, der ihr schon seit Beginn der biologischen Evolution nachgestellt hatte: Die Werbung.

Das erste, wirkliche Marketing entwickelte man in der frühen Antike und es war das, was Vogelgezwitscher in Wirklichkeit darstellt: Geschrei. Jeder kennt das Klischee des Händlers, der von seinem Marktstand aus Angebote brüllt. Der Kehlkopf und eine möglichst laute und ausdauernde Stimme waren die ersten Mittel des Werbespots, aber nicht die einzigen: Bildsprache entwickelte sich für die Massen. Großstadt-Schmieden markierten mit einem aufgemalten Hammer und Tavernen mit einer Amphore – Symbole, die jeder verstand. Marktschreier, die ersten Direkt-Marketingexperten der Geschichte, riefen zum ersten Mal Sonderangebote über die Märkte und die Ausrufer im alten Rom um die Christuswende, fügten sogar einen ausgewählten Werbetext an die politischen Neuigkeiten an. Dieser kleine Anhang brachte dem Beworbenen gute Gewinne und musste dementsprechend sehr teuer erkauft werden.

Mit diesen Tricks und Techniken arbeitete man sich gewinnorientiert durch die ganze Geschichte der Menschheit und das in wirklich jeder Kultur. Die katholische Kirche machte durch Fresken auf ihr Pantheon aufmerksam, an die Pforten nagelte man meist die neuesten Aushänge. Huren der Renaissance lehnten sich aus den Fenstern der Bordelle, als man sie noch nicht an der Straßenecke stehen ließ, und zeigten dabei immer ausreichend Dekolleté. Die ersten Plakate klebte man an die Türen von öffentlichen Toiletten. Die Litfaßsäule – die man erfand, weil man nicht immer bei Klogestank nach den Neuigkeiten und Angeboten sehen wollte – machte das Prinzip zum Alltag. Mit der Industrialisierung machten Typo- und Lithografen aus der Werbung eine Kunst. Farbgebung gewann an Bedeutung, Schrift, das Layout, Laufweite und Versatz. Aus der Kunst wurde Wissenschaft.

Sogar die ersten Galionsfiguren erschienen auf den Märkten: Bevor Franz Beckenbauer für Knorr Suppe schlürfte und Thomas Gottschalk Gummibärchen hinrichtete, standen abgehalfterte Kriegshelden auf improvisierten Bühnen und bewarben mit zuvor geschriebenen Texten Alkohol, Schmerzmittel oder Zugfahrten. Darauf folgten schließlich Radioempfänger, Lautsprecher, Fernseher, Kinos, das Internet und vieles, vieles mehr. Mit jeder Erfindung oder gesellschaftlichen Gewohnheit erfand man auch eine Möglichkeit, damit Werbung zu machen.

Coca-Cola im Wandel der Zeit.
Abb. 2: Evolution des Zuckerwassers: Die Coca-Cola im Wandel der Zeit.


Allgegenwärtiges Gebrüll

Es heißt immer, der Mensch würde alles, was er entwickelt, als Waffe benutzen. Das ist mir zu negativ. Die Wahrheit ist, er benutzt alles als alles, eben auch als Werbeträger. Das tat man sogar mit Mondraketen, als man auf ihnen groß die Lettern „United States of America“ schrieb.

Heute ist Werbung allgegenwärtig. Jeder bewirbt sich, sein Produkt, seine Firma, seinen Service oder sogar seine Werbung. Jedes Medium unserer Mediengesellschaft ist voller Aussagen, Zuflüsterungen oder Produktpräsentation. Das trifft sogar auf angeblich werbefreie Kinofilme zu – es hat durchaus Gründe, warum James Bond einen Aston Martin fährt und eine Seamaster Planet Ocean von Omega ums Armgelenk trägt. So wie alles andere: Kaum jemand trägt Markenkleidung für den Komfort, niemand fährt einen Ferrari für das gute Handling.

Das Wesen der Werbung hat sich wieder einmal weiterentwickelt: Es reicht unter all der Auffälligkeit nicht mehr, einfach nur aufzufallen. Wer heute wirklich auffallen will, muss es professionell tun. Die Werbefachmänner von heute müssen konzeptionieren, überdenken, überlegen, studieren und planen und sich einiger psychologischer Erkenntnisse und Wissenschaften bedienen. Und eben James Bond mit einer exquisiten Armbanduhr ausstatten, die man verkaufen will. Wie der Mensch das Mittelalter hat das Marketing den Marktschreier längst hinter sich gelassen.

Zum Schluss würde ich gerne darüber nachdenken, wie es mit der Werbung wohl weitergehen wird. Werden wir am Ende Werbung in unseren Träumen empfangen, so wie es Matt Groening mit Futurama voraussah? Wird man uns damit bombardieren? Oder werden wir uns zur dezenten Schlichtheit weiterentwickeln, das Leise zum neuen Laut?

Wenn alle schreien und unentwegt reden, fällt schließlich auf, wer schweigt.

— Maximilian Wust, 2005

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