Wie Katz und

Maximilian Wust - Wie Katz und

Wie Katz und
Ein Krimi-Dialog von Maximilian Wust



Diese Geschichte entstand Ende der Nullerjahre in Form einer selbstgestellten Challenge. Diese war, dass ich nur eine Stunde dafür Zeit habe – von der Konzeption über die Ausführung bis zu den Korrekturen (und nur maximal fünf Minuten überziehen darf, was also zehn bedeutet). Und weil ich natürlich ich bin, habe ich erst nach Ablauf der Zeit bemerkt, dass ich mir noch keinen Titel dafür ausgedacht hatte. Was das bedeutet, wird erst am Schluss verständlich.


Er hatte wieder bis tief in die Nacht getobt.

Die wie guter Wein gereifte Frau genoss in ihrem Wohnzimmersessel den billigen Roten – der zwar billig, aber trotzdem gut war. Sie genoss, wie sich Thorstein hastig anzog und dabei immer wieder die Knöpfe seines Hemds in die falschen Löcher steckte. Er war ein schöner Mann, groß, breit und studiogestählt, außerdem zwanzig Jahre jünger als sie und endlich mal blond. Er hatte sie geliebt, von Sonnenuntergang bis jetzt, mit Wein und Viagra, hier in ihrer extravaganten Wohnung. Das machte sie glücklich.

Bis es schließlich im Schloss knackte.

Thorstein hatte gerade die Schuhe angezogen, als dort etwas zu kratzen schien. Es knackte. Jemand öffnete sie wohl, was Emmanuelle nicht sehen konnte – die Tür lag am Ende des Flurs, um eine Ecke versteckt.

„Ist das deine Mutter?“, wollte Thorstein noch fragen, bevor es knallte. Nicht laut. Nur so, als würde man einen Luftballon platzen lassen, aber es genügte, um den blonden Schönling zu Boden zu schicken. Er fiel unecht, als würde er amateurhaft einen Sturz schauspielern, und rührte sich nicht mehr. Nie wieder. Emmanuelle wusste sofort, dass er tot war.

Die Tür wurde ins Schloss gezogen und ein hageres, seltsam gekleidetes Exemplar von Mann erschien im Flur, eine schallgedämpfte Pistole in der linken Hand. Er war groß, größer als Thorstein, aber furchtbar schlank und unscheinbar. Vom Alter her musste er wohl Ende Dreißig sein, sein Detektivmantel und die Hose hätten aber auch zu einem Rentner gepasst.

Als er Emmanuelle erkannte, richtete er die Waffe auf Thorstein, ohne sich von ihr abzuwenden, und feuerte eine weitere Patrone in den Schönling – vermutlich, um sicherzugehen. Dessen beigefarbenes Hemd färbte sich in Sekunden rot.

Emmanuelle holte tief Luft. Sie ersparte sich die Peinlichkeit eines Fluchtversuchs oder eines Schreis.

„Sind Sie Emmanuelle Maria Oleastro?“, erkundigte sich der Mann mit klangvoller, aber auch emotionsloser Stimme, die ihm seltsam stand.

Emmanuelle nickte, nur einmal. „Ich nehme mal an, dass es sich hier nicht bloß um einen Einbruch handelt.“

Der Unbekannte presste die Lippen aneinander, als wäre er peinlich berührt. Das tat er vermutlich oft. „Thomas Schuster mein Name“, erklärte Thomas Schuster, der mit Sicherheit nicht so hieß, und betrat das Wohnzimmer. Emmanuelle trug nur einen Morgenmantel, dünn und mit tiefem Ausschnitt, der aber diesen Mörder kein bisschen beeindruckte. Er sah nicht einmal nach unten. „Wo ist Ihr Handy?“, fragte er knapp.

„Da auf dem Tisch“, sagte sie und zeigte mit dem Weinglas in der Hand auf das schwarze, einsame Viereck auf dem weiten, weißen Tuch.

Thomas Schuster hob es mit der rechten Hand auf, ohne Emmanuelle auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen, und steckte es in seinen Mantel, ohne es abzuschalten. „Ich bin hier, um Sie zu töten.“

Die Frau wollte zögern. Sie wollte vor Angst erstarren und wimmern oder vielleicht auf die Knie fallen und um ihr Leben betteln. Aber das hatte sie noch nie gekonnt. Stattdessen fragte: „Warum?“

„Man hat mich dafür bezahlt.“

„Ein … Auftragsmord?“, kombinierte sie zögerlich.

„Ich fürchte ja.“

„Man hat Sie wirklich bezahlt, dass Sie Thorstein und mich –“, folgerte sie und hielt sich eine Fingerpistole an die Schläfe. Das alles war so seltsam surreal – wie in einem Film, nur dass sie nicht aufstehen oder wegschalten konnte.

„Nur Sie. Dieser Mann im Flur – Thorstein, nehme ich an – war nicht eingeplant.“

Emmanuelles Gedanken sprangen. „Aber wer könnte das –?“, überlegte sie laut. „Wer ist so verrückt, dass er –? Mein Ex-Mann? Oder war es Hallet, dieser Irre mit dem Wolkenkratzer-Ego?“

Thomas Schuster zuckte mit den Schultern. „Mein Auftraggeber hat sich mir nicht persönlich vorgestellt. Das tun sie selten.“

„Wie sah er denn aus, wenn ich das fragen darf? Man hat Ihnen ja wohl kaum einen Brief mit meinem Foto drin unter der Tür durchgeschoben.“

„Ich mache so etwas über Mittelsmänner. Jede Form von Distanz tut meiner Branche gut.“

„Jeder kennt die Leute, die mich hassen. Das fällt sofort auf Ihre Auftraggeber zurück.“

„Vielleicht ist es auch jemand, der einem anderen einen Mord anhängen will.“

Emmanuelle seufzte. „Das klingt etwas zu sehr nach einer Verschwörungstheorie.“

„Frau Oleastro, vor Ihnen steht ein Mann, der dafür bezahlt wurde, Sie zu ermorden.“

Sie lächelte. Dass sie das noch konnte! „Ich nehme an, dass man Sie nicht mit Geld, einem Frauenkörper oder einer anderen Gefälligkeit bestechen könnte, nicht wahr?“

Thomas Schuster schloss für einen Moment die Augen und schüttelte zweimal den Kopf.

„Ansonsten hätte man Sie auch nicht angeheuert“, erkannte Emmanuelle. „Möchten Sie es gleich hinter sich bringen oder darf ich mir noch einen Kaffee machen?“

„Wollen Sie nicht lieber noch etwas Rotwein?“

Emmanuelle fixierte das Glas in ihrer Hand. „Wie kommen Sie darauf?“

„Es ist meiner Erfahrung nach das beliebteste Getränk, das Menschen in ihren letzten Momenten zu sich nehmen möchten. Zumindest, wenn sie mir gegenüberstehen.“

„Wobei das ja auch von Ihrer Zielgruppe abhängt“, sagte Emmanuelle, stand auf und ging in die Küche.  „Sie wirken mir nicht wie jemand, der für Kartelle Drogendealer erschießt.“

Thomas Schuster folgte Emmanuelle, und das auf eine steinern ruhige Art. „Ich würde mich eher als einen Experten für gehobene Gesellschaft bezeichnen.“ Wie er die Pistole hielt, so anmutig und mühelos, war durchaus beeindruckend. Sie musste durchaus etwas Gewicht besitzen – und Schuster wirkte alles andere als kräftig.

Emmanuelle holte ihre Lieblingstasse aus dem Regal. „Weil ich die Dinge gerne plane: Wie lange kann ich es noch herauszögern? Darf ich mir auch noch etwas zu essen machen? Oder meiner Mutter einen Abschiedsbrief schreiben?“

„Solange Sie in diesem Brief nichts über mich verraten oder meine Geduld unnötig strapazieren, habe ich keinerlei Einwände.“

Als nächstes holte Emmanuelle den Kaffee aus dem Regal, und zwar den besten, den sie hatte: In einem edlen, roten Aromaschutzbeutel ruhten die Seele und das Feuer irgendeines südamerikanischen Staates mit ernstzunehmender Kriminalitätsrate. „Wie viel habe ich eigentlich gekostet?“, kam ihr in diesem Sinne in den Sinn.

„Viel.“

„Viel im Allgemeinen?“

„Viel für jemanden ohne Leibwächter oder mächtige Beschützer.“

„Ich sollte mich geschmeichelt fühlen.“ Emmanuelle schüttete die Bohnen in die Maschine. „Wie haben meine … Vorgänger auf diese … Situation reagiert?“, fragte sie – auch, um sich selbst von diesem Gedanken abzulenken, obwohl sie damit direkt darauf zusteuerte. „Flehen viele um ihr Leben?“

Thomas Schuster spitzte wieder die Lippen. „Nur die Wenigsten, und auch nur kurz. Manche warten auf den richtigen Moment, der aber nicht kommt. Andere versuchen, sich als menschlich und ein Opfer schlechter Umstände darzustellen. Die meisten aber akzeptieren ihr Schicksal.“

„Wieso das?“

„Ich vermute, dass sie wissen, dass sie es verdient oder provoziert haben.“

Die Kaffeemaschine rumorte. Heulend und knirschend zerkleinerte sie die goldbraunen Bohnen, betrauerte ihr Ende mit Summen und schnaufte, als sie Tropfen um Tropfen des braunen Lebenselixiers in die Tasse presste. Der Kaffee roch nun so gar nicht mehr nach erwachenden Lebensgeistern, sondern nach Arbeitsalltag, Frust und Stress. Nach sinnlosen Meetings mit verbohrten Egomanen.

„Wollen Sie auch eine Tasse?“

Thomas Schuster schüttelte den Kopf, indem er wieder nur die Augen schloss. „Ich trinke nicht bei der Arbeit.“

„Kaffee ist laut Statistik meist alkoholfrei“, scherzte Emmanuelle und korrigierte dies mit einem Schuss Cognac.

„Ich meine: Ich trinke nicht, ich esse nicht, noch lasse ich Sie aus den Augen. Ich tue nichts, was den Auftrag gefährden könnte.“

Sie gingen zurück ins Wohnzimmer. Emmanuelle setzte sich auf das Sofa, von wo aus der Blick auf Thorsteins Leiche vom Sessel verwehrt wurde. „Nehmen Sie doch Platz“, bat sie Thomas Schuster, der dies auch dankend tat. Ohne sich auch nur einen Augenblick von ihr loszueisen, sank er mit der gleichmäßigen Bewegung eines Roboters in den Satinthron, auf dem sie eben noch gesessen hatte.

„Wie wird man eigentlich Auftragsmörder?“, fragte sie, obwohl sie das gar nicht wissen wollte. „Haben Sie schon in der Schule Kinder gegen Geld verprügelt?“

„Keinesfalls. Interesse, zudem eine Militärausbildung sind vorweg förderlich, aber der Schritt vom Tötungswilligen zum Töter erfolgt meist zufällig. Mit Dreiundzwanzig hat mir jemand Geld geboten, damit ich jemand anderen töte. Aus bloßer Neugier habe ich ihn hochgehandelt. Zwei Tage später war dieser andere tot.“

„Aber Sie haben sich nie gefragt, ob sie es tun könnten, nicht wahr? Eher, ob man es zu Ihnen zurückverfolgen könnte.“

Er zögerte, um dann zu nicken.

Thomas Schusters nächstes Opfer nahm einen ersten Schluck vom Kaffee. „Nun fragen Sie mich etwas!“

„Besser nicht. Ich möchte meine Opfer nicht näher kennenlernen, als unbedingt notwendig.“

Emmanuelle seufzte. „Also gut: Sind Sie verheiratet?“

„Noch.“

„Führen Sie ein Doppelleben oder weiß Ihre Frau von Ihrem Nebeneinkommen?“

Thomas Schuster schüttelte unmerklich den Kopf. „Weder noch“, antwortete er. „Eine Sache möchte ich Sie nun doch fragen: Haben Sie es verdient?“

„Von ihnen erschossen zu werden? Thorstein hatte es nicht.“

„Er war ein potenzieller Störfaktor, der entfernt werden musste. Unnötig und bedauerlich.“

„Sind Sie ein Psychopath? Damit meine ich nicht die Irren, die als Kinder Katzen ausweiden oder zuhause Prostituierte zerstückeln, sondern –“

„Einen Menschen ohne Empathie, der sich nicht in die Schmerzen hineinversetzen kann, die er anderen zufügt. Nein, das bin ich nicht. Ich empfinde durchaus Mitgefühl. Auch mit denen, die ich töte, weshalb ich Sie, Frau Oleastro, nicht einfach sofort erschossen habe. Ich weiß nicht, wo mich das auf der Robert-Hare-Skala einstuft; ich sehe meine Taten jedoch als unbedeutend, wenn Ihnen das genügt“

„Das heißt?“

„Erstens, glaube ich nicht an Seelen oder ein Jenseits. Das Leben ist nichts weiter, als ein chemisch-elektrischer Prozess. Stirbt man, erlischt das neuronale Kreuzfeuer im Gehirn und man löst sich auf, vollkommen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man ein oder einhundert Jahre alt war. Es folgt immer das Mu, das große Nichts, die Nicht-Existenz, die wir schon aus der Zeit vor unserer Geburt kennen.

Zweitens spielen die allermeisten Menschen keine Rolle. Sie sind bestenfalls Körner im Reisbrei. Entfernt man sie, ob jetzt per Altersschwäche, Autounfall oder Auftragsmörder, wird ihre Position sofort vom Ameisenschwarm der Menschheit ersetzt und nur ihre engsten Freunde und Verwandten bemerken überhaupt, dass es sie nicht mehr gibt. Haben Sie schon einmal einen Onkel oder eine Tante verloren? Falls ja, wird Ihnen aufgefallen sein, wie schnell alles wieder zur Normalität zurückkehrte oder wie wenig es den Alltag tatsächlich unterbrach.“

„Ein Nihilist zu sein, der in allem keinen Sinn sieht, macht Thorsteins Tod nicht weniger falsch.“

„Wir beide wissen, dass man mir kein schlechtes Gewissen einreden kann. Aber nun kenne ich endlich ein Wort für das, was ich wohl bin: Ein Nihilist.“ Thomas Schuster lächelte. „Kehren wir zu meiner Frage zurück: Haben Sie es verdient?“

Emmanuelle überlegte laut: „Ich gebe schon zu, viel Schlechtes getan zu haben: Betrogen, gelogen, Karrieren blockiert, andere zerstört. Ich habe die Assistentin eines Konkurrenten einmal mit viel Geld bestochen, damit sie ihn wegen sexueller Belästigung verklagt.“ Sie seufzte, so tief, dass es fast wie ein Zischen klang. „Man sagte mir schon einmal, dass es niemanden wundern würde, wenn ich eines Tages tot in meiner Wohnung aufgefunden werde … wenn auch als Scherz. Aber ob es wirklich gerecht ist?“, sie überlegte.

„Ihr Liebhaber, dieser Thorstein – war er verheiratet?“

„Ein Mann wie er? Mit über dreißig Jahren? Die sind entweder das oder schwul.“

„Und trotzdem hatten Sie eine Affäre?“

„Die wahrscheinlich seine Ehe mehr gerettet als beschädigt hat. Seine Frau gehört zum Typ der Ehe-Nonnen. Sie hat mit dem ersten Kind beschlossen, nur noch zu besonderen Anlässen wie ein toter Fisch unter ihm zu liegen. Er sah leider zu gut aus, um das ewig hinzunehmen. Früher oder später hätte es ihn wieder auf die Suche getrieben. Durch mich hatten die Kinder beide Eltern, sie ihr Zölibat und er seinen Spaß. Von mir ganz zu Schweigen.“

„Dennoch haben Sie dazu beigetragen, dass diese Ehe eines Tages gescheitert wäre.“

„Wir beide wissen, dass man mir kein schlechtes Gewissen einreden kann“, gab Emmanuelle nun grinsend zurück, Wort für Wort. „Und die Ehe beendet, das haben Sie, und nur Sie, Señor Schuster.“

Thomas Schuster zuckte mit den Schultern. „In Sachen Treue sind wir wohl anderer Meinung.“

„Nein.“

„Nein?“

„Sind wir nicht“, bestimmte Emanuelle. „Ich weiß nicht, wie Ihre Ehe läuft und es ist mir ehrlich gesagt auch egal, ob Ihre Frau glaubt, Sie wären Elektroingenieur auf Dienstreise oder ob Sie ihr nach jedem Job erzählen, wen Sie wie ermordet haben. Aber Ihre Ehe ist längst in dem Stadium, in dem sie keine mehr ist. Das erkenne ich sofort. Sie sehnen sich schon lange nach Abwechslung, aber im Gegensatz zu Thorstein erscheint keine Vorgesetzte in Ihrem Büro und befiehlt Ihnen, sich untenrum freizumachen.“

„Das klingt nach sexueller Nötigung.“

„Ein sexuell Genötigter kommt nicht nach vierzig Sekunden.“

Der Auftragsmörder zögerte. Er wollte etwas sagen, öffnete schon den Mund, beließ es aber dann dabei.

„Ich hätte ein Anliegen“, beschloss Emmanuelle und brachte es vor: „Oder besser: Einen Auftrag, und das posthum.“

„Ich soll anschließend denjenigen ausschalten, der Ihren Tod wollte? Er oder sie ist mir unbekannt.“

„Mir egal. Ich wünsche, dass Sie meinen Ex-Mann Hunter Persson und Conrad Hallet, unseren neuesten Partner, ins nächste Reich schicken – und das, noch bevor die beiden unter Polizeischutz oder Beobachtung gestellt werden, weil man meine Leiche gefunden hat.“

Thomas Schuster überlegte, laut: „Es ist aber gut möglich, dass diese Männer damit nichts zu tun haben. Einer von beiden wird unschuldig sein.“

„Das ist mir gleich. Und Ihnen auch, solange das Geld stimmt.“

„Das kann ich nicht leugnen.“

„Also, wie viel kostet es mich, dass die beiden mit mir zur Hölle fahren?“

„Zweiundsechzigtausend Euro.“

„Pro Kopf?“

„Für beide.“

„Ein Kombi-Paket? Ich hätte auch pro Kopf bezahlt.“

„Ich weiß. Aber ich bleibe dennoch meinen Prinzipien treu.“

Emmanuelle spitzte die Lippen. Sie stand auf, ging zum Schreibtisch, holte einige Utensilien hervor und öffnete den versteckten Safe im Bücherregal. In Rekordzeit hatte sie ein Briefkuvert mit Geld gefüllt, zwei Zettel mit Adressen beschriftet und Fotos mit Heftklammern daran befestigt.

„Hier drin sind achtundsechzigtausend Euro“, erklärte sie und überreichte Thomas Schuster den Umschlag, „also zweiundsechzig, plus zehn Prozent Trinkgeld.“

Der Auftragsmörder blätterte durch die Papiere, bedruckt wie beschrieben. „Ihr Ex-Mann wohnt in Málaga. Das ist am anderen Ende der Iberischen Halbinsel“, bemerkte er, als wäre das ein Problem.

„Und wenn schon? Über die A-92 sind das maximal sechs Stunden. Mein Ratschlag wäre ein Hörbuch.“

„Sie wissen, wovon ich spreche: Ich habe zwei Ziele, die miteinander in Verbindung stehen, in kurzer Zeit auszuschalten. Jede Stunde kann dabei kostbar sein.“

„Wollen Sie mehr Geld?“

Thomas Schuster zögerte tatsächlich, wenn auch nur einen kurzen Augenblick. Danach beschloss er wohl, seine Bedenken zu ignorieren. „Werde ich bei diesen Männern Familienmitglieder antreffen? Frau, Freunde oder Kinder?“

„Bei beiden bestenfalls die Frauen, eher die Geliebten, wahrscheinlich aber niemanden.“

„Und wenn doch?“

Emmanuelle zuckte mit den Schultern. „Dann müssen Sie Ihrer Frau beim Abendessen noch mehr entfernte Störfaktoren beichten.“

„Sie haben mir eben noch Thorstein vorgeworfen.“

„Und wie es scheint, verdiene ich mir gerade den Tod durch einen Auftragsmörder.“

Thomas Schuster überlegte einen Moment, dann steckte er das Geld ein. „Bis morgen Abend werden beide nicht mehr sein.“

Emmanuelle nickte nur, ging zu ihrem Kaffee zurück und nahm einen letzten Schluck – nicht aber den letzten, den die Tasse noch zu bieten hatte. Sie trank nie ein Glas bis zum letzten Tropfen aus. „Gut“, verkündete sie. „Ich denke dann auch, dass wir so allmählich zum Ende kommen sollten. Wie werden Sie es tun? Schießen Sie mir ins Herz oder ins Genick?“

Thomas Schuster seufzte. „Ich wünschte, es wäre so einfach. Leider hat man mich dafür bezahlt, Ihnen Arme und Beine abzuschneiden und anschließend soll ich Sie wie ein Schwein an einem Fleischerhaken ausbluten zu lassen – um meinen Auftraggeber zu zitieren.“

Jetzt wurde sogar Emmanuelle blass. „Das … ist ein Scherz!“, hoffte sie.

„Allerdings“, erwiderte Thomas Schuster und lächelte, ein wenig. „Verzeihen Sie! Mein Humor ist schon immer etwas zu schwarz gewesen. Ich werde Ihnen einfach nur zwei Kugeln ins Herz schießen – ein schnelles Ende, außerdem sauber und schmerzlos.“

„Darf ich mich davor noch anziehen?“

„Selbstverständlich. Aber ich muss bedauerlicherweise darauf bestehen, zuzusehen.“

„Nicht, dass ich ein Handy hervorzaubere und Hilfe rufe.“

„Oder Sie durch das Fenster entwischen wollen.“

„Wir sind im zwölften Stock!“

„Sie wären nicht die Erste, die es trotzdem versucht.“

Emmanuelle stellte die Tasse ab. Anschließend streckte sie den Rücken durch, richtete sich zur vollen Größe auf und ging ins Schlafzimmer. Thomas Schuster folgte ihr wie ein Schatten, und das so nah, dass sie nicht einfach die Tür zuknallen oder hätte fliehen können.

Das Schlafzimmer glich dem Rest der Wohnung. Obwohl sich Emmanuelle und Thorstein hier eben noch stundenlang geliebt hatten, wirkte alles unpersönlich und unbenutzt wie in einem Hotelzimmer. Sie hatte es schon immer gehasst, zu viel Persönlichkeit zu zeigen.

Emmanuelle öffnete den Schrank. „Sollte ich etwas Spezielles tragen?“, fragte sie. „Wegen dem Blut?“

„Sie meinen Rot? Das ist ein Anfängerfehler. Tragen Sie weiß! Weiß kann die Unnatürlichkeit des Todes vereiteln. Auf Rot würde Ihr Blut eher so wirken, als hätten Sie Wasser verschüttet.“

Ohne weiter darüber nachzudenken, wandte sie sich von Thomas Schuster ab und kleidete sich ein. Es war ihr nicht peinlich, von ihm im Evaskostüm gesehen zu werden, jedoch spielte sie auch gerne mit ihren Opfern – und das waren nun einmal Männer. Deshalb bückte sie sich auch etwas tiefer, als sie in ihr weißes Spitzenhöschen stieg. So bekam er etwas mehr zu sehen, als nur ihren Hintern. Danach schlüpfte Emmanuelle in ihr bestes, advertisemental-weißes Sommerkleid.

„Eine letzte Bitte habe ich noch“, erklärte sie.

„Sie hatten bereits mehrere.“

„Und diese eine hätte ich auch noch gern. Eine Große, leider.“

Nun war es Thomas Schuster, der die Lippen spitzte. „Die da wäre?“

„Ich weiß, Sie haben Ihre Prinzipien. Sie tun nichts, was Sie ablenken oder Ihren Auftrag gefährden könnte. Und deshalb verspreche ich Ihnen, dass ich nicht loslaufen werde, nicht schreien und auch sonst keine Dummheiten begehen. Das haben sicher schon Bessere vor mir versucht. Dennoch bitte ich Sie, Ihre Regeln zu brechen, und zwar nicht nur die eines Auftragsmörders. Nur für ein paar Minuten.“

Thomas Schuster hielt inne. „Um was zu tun?“

Emmanuelle kam nicht näher. Sie machte keine seltsamen Posen oder Andeutung, sie löste genauso wenig die Träger ihres Kleids, noch überprüfte sie ihre Umgebung nach einer Waffe. Sie lächelte nicht und rollte auch nicht mit den Augen. Sie stand einfach nur da, so stoisch und steinern wie ihr Mörder, bevor sie ihre Bitte vortrug: „Schlafen Sie mit mir!“

Als sich daraufhin in seinem Gesicht tatsächlich eine Regung zeigte, wusste sie schon, wie er antworten würde. Was jetzt geschah was darauf folgen sollte.

Wie sie das Blatt doch noch wenden konnte.

Sie waren wie Katz und –

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