Tanzen mit dem Nichts

Maximilian Wust - Tanzen mit dem Nichts

Tanzen mit dem Nichts
Eine Prosa von Maximilian Wust



Weltschmerz-Prosa aus Jugendtagen. Wie sie entstand, ist schnell erklärt: Ich wollte mehr, sie nicht.


SIE SAMMELN SICH da, im dunklen Blitzlicht zur Musik, die Knechte der neuen Zeit, als Meister verkleidet. Es ist Nacht, Samstag oder Freitag. Wann spielt keine Rolle. Man fährt zum Feiern, in den Club, die Disko, die sich jetzt so nennen muss. Alle sind jung und jünger, alle tragen sie die gleiche Kleidung, ziehen die gleichen Handys, kämmen die gleichen Frisuren, denken die gleichen Gedanken. Jeder passt sich an, weil sich jeder anpassen muss. Sie sind die Rotte und als Rotte haben sie Spaß. Weil allein erstickt.

Die Musik dröhnt, laut, hallt, aber trotzdem ist alles stumm. Der Lärm hat keine Worte. Blicke werden zu Sätzen, die Gestik zu Büchern, Alkohol soll heute Abend Wahrheit sein. Die Musik klingt sphärisch aus der Übererde, mit dem Synthesizer als Klavier, so schnell wie ein Kolibriherz. Sie baut sich Sklaven. Elektrisch fließt sie in die Glieder. Jeder zuckt. Jeder seufzt. Im Rhythmus. In der Ekstase. Früher tanzte man ums Feuer. Die Stämme grauer Vorzeit leben hier fort, mit jeder Pore.

Verdünnter Alkohol glänzt in den Gläsern, wie die Schweißperlen auf der Stirn. Sieh, wie ich mich bewege, sagt der Stier zur Katze. Sieh, wie schön ich bin, sagt die Venus zum Merkur. Zwischen den Zeilen spricht man eine niedere Sprache. Wir sind Tiere. Hüllen tanzen, Hormone fließen durch die Luft. Das ist der Alkohol, der Zaubertrank aus alter Zeit. Er wirkt. Für die Knaben wird er zur Brücke, für die Frauen zur Treppe. Er gibt keinen Mut, er nimmt auch keinen Stolz. Er lässt nur das Überdenken ruhen.

Im Blitzlicht finden sich zwei, ein Mann, der noch keiner ist und eine Frau, die ein Mädchen bleiben will. Sie tanzen umeinander, bewegen sich gleich. Aus Rhythmus wird Begierde. Sie wächst zu Verlangen. Auf einmal sind sie verschwunden. Sie verabschiedet sich, er ist einfach weg. Der Weg nach Hause wird geschwebt. Küsse, ein Blick, leere Worte. Zuhause, zwischen alten Helden und bald gestorbenen Träumen wird sich ausgezogen. Einer den anderen, jeder für sich selbst, was schneller ist, was romantischer wirkt. Dann folgt das Stoßen, Spielen, Reiten, ein Ende, kurze Ekstase, der Höhepunkt des Abends, der Woche, des Monats, des Jahrtausends wird er sagen. Schweiß für das Ego, Fleisch für die Triebe, was leer bleibt ist die Liebe.

Eine letzte Umarmung; und wer hier wohnt, darf bleiben. Namen sind so wertlos wie Nummern für das Telefon. Nächste Woche wird wieder losgezogen, gefeiert, gejagt, erobert oder vergeben. Alles war nur eine von tausend Runden in dem Spiel ohne Ziel, das jeder spielt. Weil wir es nicht anders kennen. Weil wir alle so spielen. Weil allein erstickt.

– Maxx, 2000

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