Gott und sein Sünder

Maximilian Wust - Gott und sein Sünder

Gott und sein Sünder
Ein Fantasy-Slapstick-Dialog von Maximilian Wust

Prolog
Es war ein Jahrtausend wie jedes andere. Ein paar Kriege, Krisen, Krankheiten entvölkerten wieder ganze Landkreise, jemand erfand den elektrischen Strom und wieder jemand anderes flog zum Mond. Und damit war es auch schon wieder vorbei.

Irgendwann gegen Ende dieses kaum erwähnenswerten Millenniums, ging Manfred Gütermann, Besitzer des langweiligsten Namen Deutschlands, 45 Jahre alt und Diplomingenieur, zum Getränkemarkt um die Ecke, um sich ein paar Bier zu holen. Das tat er jeden dritten Abend, schon seit vielen Jahren, weshalb er kaum noch auf die Umgebung achtete. Darunter leider auch die Straße, denn das hätte er vielleicht an diesem Tag tun sollen. Ein reicher Schnösel, vom Beruf Sohn, kam in seinem Sportwagen unvorteilhaft schnell um die Kurve geschossen, kollidierte mit dem Mittvierziger und schleuderte ihn wie einen Bowling-Pin an den Straßenrand.

Der Berufssohn beging natürlich Fahrerflucht – wie es sich für so ein Bonzenbubi geziemt – und Manfred starb in den Armen einer alten, demenzkranken Mülleimerwühlerin, die eigentlich nur auf seine Schuhe aus war.

***

Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt.

Das war Manfreds letzter Gedanke.

Und auch sein Erster, als er wieder zu sich fand, im nächsten Reich wohl, und sein Erstaunen darüber, wie schnell man tatsächlich sterben kann, durch das Erstaunen abgelöst wurde, wie unerwartet anders das Jenseits zu sein schien:

Riesige Flächen aus haushohen, silbernen Kristallstacheln säumten endloses Hügelland, Flüsse aus Gold bahnten sich dazwischen hindurch und messingfarbene, mit Gravuren überzogene Kugeln, so breit wie Wolkenkratzer hoch, schwebten träge über den purpurnen Himmel des Himmels. Um sie herum zogen schwarze Teerklumpen ihre Bahnen, von denen Manfred wusste, so als hätte er es immer gewusst, dass man sie Theophanien nannte. Ebenso wusste er, dass ihm dieses Wissen einfach mal gar nichts nützte.

Aber das war nicht das Einzige, was irgendwie so gar nicht in die Vorstellung moderner Religion passte: Unmittelbar vor den Toren von Himmel und Hölle stand kein Petrus. Da waren auch nicht Jesus oder Gott, Thor, Allah (also Gott mit schwarzem Bart und Turban), ein Engel oder irgendetwas, das Manfred aus irgendeiner Religion wiedererkennen hätte können, sondern eine große, graue Säule, bedeckt mit Dutzenden Gesichtern und gut noch einmal so vielen Armen … und Geschlechtsteilen, die manchmal sogar sprachen (und zwar nicht die, von denen man es erwartet hätte). Dieses Wesen – hoffentlich nicht, aber wahrscheinlich Gott – wirkte, als hätten die Bilder von Pablo Picasso und Hieronymus Bosch geheiratet, ein Kind bekommen und es grauenvoll misshandelt.

Und ganz dem Klischee entsprechend standen vor diesem Gebilde die Tausende und Abertausende Verstorbener Schlange, um schließlich verurteilt zu werden. Einer nach der anderen schwebte durch das angenehm-helle Tor in das Himmelreich oder – bedeutend häufiger – durch das angenehm-infernale Tor in die Höllenqualen … oder durch das beigefarbene, aussagelose Portal über dem in allen Sprachen „Konnte man nicht genau zuordnen-Sonderhimmel“ stand. Ein paar ganz Unglückliche mussten anscheinend sogar an einer Art entstellten Bushaltestelle auf Sitzen aus Bimsstein warten. Auf was auch immer.

***

Schließlich, nach einem gefühlten Jahrtausend der Wartezeit trat Manfred vor seinen Schöpfer oder jedenfalls dieser Sammlung aus Gesichtern und Extremitäten, die wohl ein Schöpfer sein sollte.

Die Säule: Name!“, fauchte die Säule aus einem eher typischen Türvorstehergesicht. Alle, die nun mit dieser Beschreibung nichts anfangen können, bittet der Autor nun, den Fernseher einzuschalten und das erstbeste Gesicht einzuprägen.
Manfred: „Was bist du?“
Die Säule: Herrgott, jedes Mal dieselben Fragen“, antwortete das erstbeste Gesicht aus dem Fernsehen. „Also, nochmal für dich und die nächsten zwanzig hinter dir: Ich bin Jafahntal’aaa’nsg und ja, ich hab‘ euch alle erschaffen, also euch, das Universum, die Erde, die Spezies der Thunfische. Alles! Außer den Kerl da drüben – der war ein Unfall.
Dieser Kerl: „Was?“
Aaa: Ein Witz! Bleib locker! Um Gottes Willen, hässliche Leute sind immer so sensibel. So, und jetzt zu dir: Wie lautet dein Name?
Manfred: „Manfred, Gütermann. Und … deiner?“
Aaa: Boss.
Manfred: „Und du bist … der liebe Gott?“
Aaa: Ich bin alle Götter. Die Bluttrinker der Azteken, die steinäugige Herrin der Sumerer, die fliegende Portion Nudeln der Pastafari und ja, auch der Gott von Christenheit, Judentum und Moslemismus oder wie sich das auch nennt.
Manfred: „Islam. Und wie kannst du der Gott von so vielen, sich widersprechenden Religionen sein?“
Aaa: Seufzte. „Das liegt daran, dass sich die Religionen nicht widersprechen, sondern Updates sind. Sieh es so: Ich bin die Wahrheit. Der allwissende, unendlich gütige, unendlich nachtragende Schöpfer aller Dinge. Ist einfach so. Das habe ich euch Menschen per Visionen, Träume und brennende Büsche zu erklären versucht, was ihr leider nicht immer so ganz verstanden habt. Zum Einen, weil ihr nicht mal einem gottverdammten brennenden Busch länger als fünf Minuten zuhört. Zum Anderen, weil ihr einfach auch nicht die Hellsten seid. Also ließ ich euch regelmäßig ein paar Wahrheiten zukommen, um euch alle tausend Jahre näher an die Wahrheit zu führen. Das erkennt man zum Bleistift ganz gut an Ägyptinien: Zuerst gab es viele Götter, dann ein Götteroberhaupt namens Re, dann einen alleinigen Gott namens Aton, daraus wurde Jachwe, Jehova und zuletzt den Jesus Christ Superstar. Und jetzt nochmal tausend Jährchen und ihr seid endlich beim Jafahntal’aaa’nsgkismus angekommen. Das wärt ihr sogar heute schon, würdet ihr nicht ständig meine aktuellen Propheten ins Irrenhaus stecken oder anzünden.
Manfred: „Na ja, aber jemand, der was von einer Säule voller Gesichter als den wahren Gott erzählt, ist auch nicht ganz ernst zu nehmen – das musst du zugeben!“
Aaa: Seufzte erneut. „Aber ein Nikolaus mit weißem Rauschebart als Schöpfer des gesamten Universum geht klar?
Manfred: „Warum offenbarst du dich dann nicht jetzt der Menschheit? Lande einfach so, wie ich dich jetzt sehe, am Times Square und verwandel einen Hydranten in Gold. Oder den Mond. Spätestens dann würde man dir garantiert glauben.“
Aaa: Brennende Büsche und wirre Traumvisionen sind eher meins. Hast du schon einmal geträumt, dass dir die Zähne ausfallen? Das zum Bleistift ist meine Erklärung der Wahrheit hinter dem Universum.
Manfred: „Entschuldige, aber das verstehe ich nicht.“
Aaa: So viel zum Thema, die Menschheit wäre bereit. So, können wir dann anfangen?
Manfred: „Eine letzte Frage noch:  Warum siehst du so aus … wie du aussiehst?“
Aaa: Schwere Kindheit. Mich wundert’s aber bis heute, warum mich das jeder fragt. Das Alte Testament gibt eigentlich eine sehr genau Beschreibung zu meinem Äußeren.
Manfred: „Ein verrücktes Wirrwarr ohne Sinn und Zweck?“
Aaa: Ein Gott der tausend Gesichter und tausend Wahrheiten. Aber gut, nun zu dir, mein Kind: Wann bist du gestorben?
Manfred: „Hm … vor etwa einem gefühlten Jahrzehnt? Ich stand ziemlich lang in der Schlange und weiß ehrlich gesagt nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Sind ja eine Menge Seelen, die täglich ins Jenseits gehen.“
Aaa: Was meinst du, warum ich die USA so hasse? Wenn die erstmal mit ihrem Atomkrieg anfangen, werd’ ich hier mehr Arbeit haben als ein französischer Raucher. Ich bräuchte aber möglichst genau deinen Todestag – kennst du den noch?
Manfred: „Das war irgendein Freitag im Jahr 1999. Ja genau, 1999! Ich hab’ nicht mal das blöde nächste Jahrtausend erlebt! Wieso fragst du mich das? Bist du nicht allwissend?“
Aaa: Da hat einer meiner Propheten wieder mal ordentlich übertrieben. Ich weiß verflucht viel, also zum Bleistift kenne ich alle Tierarten in allen Sprachen und kann gut jeden zweiten Stein im Universum benennen, aber ich weiß jetzt auch nicht alles. Wenn’s so wär‘, hätte ich nämlich alles getan, um eure Entstehung zu verhindern. Nicht persönlich gemeint!
Manfred: „Und du fragst nach meinem Todestag … um mich nicht zu verwechseln?“
Aaa: Es gibt noch mehr Manfred Gütermänner und ich will dich ja nicht zum Bleistift für den Verzehr von Zucker in die Hölle zu schicken, obwohl du’s nie getan hast. Aber ich weiß inzwischen, wer du bist, also lass‘ uns anfangen!
Manfred: „Moment! Man darf keinen Zucker essen?“
Aaa: Keinen Zucker, keine Krabben und kein Schweinefleisch, außerdem darf man keine Spar-Abos und keine Schulden aufnehmen. Das sind die absoluten No-Gos und das wiederum sagt jede Religion der Welt.
Manfred: „Keine Einzige.“
Aaa: Schüttelte die Köpfe. „Fangen wir mit deiner Auswertung an. Das Ganze läuft so: Du hast gerade null Punkte und wir werten dein Leben aus. Bist du am Ende im Minus, kommst du in die Hölle und brennst wie ein Traktorreifen auf einer Straßenparty in Brasilien. Bist du im Plus, darfst du in den Himmel, wo dich ein palastgleiches Haus, 42 Rosinen, ein stets voller Kühlschrank und ein Fernseher erwarten, der jede Bundesliga zeigt, die du gerade sehen willst. Auch welche aus der Zukunft.
Manfred: Rosinen? Ich dachte immer, das wären 72 oder 42 willige Jungfrauen gewesen. Huris oder so. Zumindest haben das irgendwelche Mullahs aus dem Nahen Osten gesagt …“
Aaa: Das war ein Witz.
Manfred: „Das eben oder dieser Text im Koran?“
Aaa: Der ganze Koran ist voller Witze. Das soll mir helfen, die lockeren Kerle von den vertrockneten Birnen ohne Humor zu unterscheiden. Der Himmel ist mit Sicherheit kein feuchter Traum für spätpubertäre Jugendliche und Rosinen sind lecker und gesund! Sowas wie Jungfrauen gibt’s nur für Männer, die wirklich was im Leben geschafft haben. Gandhi zum Beispiel, auch wenn der immer noch keine will, dieser sture Bock. Ist das in Ordnung für dich?
Manfred: „Und was erwartet die Frauen im Himmel?“
Aaa: Wen?
Manfred: „Die Frauen.“
Aaa: Wen meinst du?
Manfred: „Na, du weißt schon. Diese Wesen, die Kinder gebären, Brüste haben und meistens lange Haare. Wir haben doch gerade noch von Jungfrauen geredet!“
Aaa: Keine Ahnung, wen oder was du meinst. Fangen wir nun lieber mit deiner Auswertung an.


2. Akt

Ein göttliches Blatt Papier erschien aus einer ebenso göttlichen Schublade, gefolgt von einem noch göttlicheren Stift. Es war, als hätte man alles Wunderbare, Schöne und Mächtige des Universums an einer Stelle gesammelt und daraus Schreibutensilien gemacht. Eine genauso bombastische Brille kam herangeschwebt und setze sich auf die erstbeste Nase von Jafahntal’aaa’nsgk. Gleich darauf überflogen ein Dutzend Augenpaare Manfreds dokumentiertes Leben.

Aaa: Soso, Manfred Gütermann, Ingenieur, Lieblingsfarbe Blau, Lieblingsedelstein Rhodochrosit … hui, das ist mal selten!
Manfred: „Hast du das alles aufgeschrieben?“
Aaa: Nee, dafür hab‘ ich meine Theophanien – ihr würdet sie Engel nennen. Für diese Listen speziell ist Voyeuriel, der Engel des unheimlichen Stalkings verantwortlich!

Dieser war ein drei Meter großer, imposanter, nackter Mann aus Messing. Anatomisch so frustrierend gebaut wie eine griechische Gipsstatue und mit dem gruseligem Blick eines Mannes, der vormittags vor dem Kindergarten wartet, starrte er in eine Kristallkugel, die aus einem Blumentopf wuchs und notierte mit Feder und Tinte Eckdaten aus dem Leben eines Sterblichen … und fasste sich dabei etwas unsittlich an. Und sabberte.

Bis er von Jafahntal’aaa’nsg ganz nebenher vorgestellt wurde.

Voyeuriel: Boss, ich heiße Isthasiel, Engel der Dokumentation.
Aaa: Du bist ein unheimlicher Kauz, weiter nix! Diesen scheiß Pseudo-Titel kannste dir sonst wohin schieben und mich bitte nicht weiter beim Verurteilen stören, danke!
Voyeuriel: Manfred Gütermann? Ich habe dich dein Leben lang begleitet. Als du gezeugt wurdest, schwebte ich bereits über dir; als du dem Fäkalieren gefrönt hast, stand ich stets an deiner Seite; ich begleitete deinen Finger in deine Nase und deine Hand an deinen –
Aaa: Oh Gott, bitte hör auf zu reden!“ Zu Manfred: „Nimm’s ihm nicht übel! Der Job lässt die Besten schräg werden.
Manfred: „Schon okay … denke ich.“
Voyeuriel: Du warst einer meiner liebsten Fäkalierer, Manfred. Deine Durchfälle! Sie waren Toilettengesang! Sinfonien des Afters!
Aaa: Halt endlich die Fresse, du widerlicher Fetischist, oder ich entferne sie dir! So, und jetzt zu dir, Manfred: Fangen wir endlich an!
Manfred: „Keine Widerrede.“
  Schade, dass du nicht an mich – Jafahntal’aaa’nsgk, den großen Ollum – geglaubt hast. Das wären schon mal fünf Pluspunkte und ein guter Start für den Rosinenschüssel-Himmel gewesen. Aber okay, du warst ein gläubiger Atheist. Früher hätte ich dich dafür sofort in die Hölle geschickt, wie unseren Galileo hier  –
Galileo: „Das werd‘ ich dir nie verzeihen!“
Aaa: – aber damit hast du Integrität bewiesen und bekommst einen Punkt. Alle Sünden bis zu deinem 18. Lebensjahr zählen schon mal nicht – Unmündigkeit und so –, also fangen wir gleich an deinem Geburtstag an. Und was macht Klein-Manfred da? Wacht auf und schrubbt sich einen, während er an die süße Julia Bauer denkt.
Manfred: „Masturbieren ist also wirklich eine Sünde …“
Aaa: Willst du auch behaupten, dass das in keiner Bibel der Welt steht?
Manfred: „Warum ist es denn eine?“
Aaa: Ganz ehrlich? Weil’s euch Spaß macht und deswegen macht’s mir Spaß, euch das zu verbieten. Denk mal darüber nach: Jede Religion geht nur darum, euch bei jeder Gelegenheit einen Riegel vorzuschieben! Außerdem ist es eklig. Ihr verzieht dabei immer so das Gesicht. Ach ja, gleich der nächste Minuspunkt: Du hast am Nachmittag Torte gegessen.
Manfred: „Niemand wusste, dass Zucker eine Sünde ist.“
Aaa: Keine Ausrede für jemanden, der noch am selben Morgen seinen Samen ins Taschentuch geschlonzt hat!  Außerdem kriegst du vorweg noch ein Minuspunkt drauf, weil du Mitteleuropäer warst.
Manfred: „Was? Warum?“
Aaa: Hast du mal darüber nachgedacht, was ihr der Welt antut. Ihr beutet sie aus, verkauft ihnen eure alten Waffen, seht sie als eine Tankstelle mit Selbstbedienung und lebt und verfettet im Luxus, während der ganze Planet um euch herum in Krieg und Armut versinkt. Du bist zwar besser als die Leute, die hierher kommen und sagen Ich komme in den Himmel, weil ich Christ bin, aber trotzdem kann ich da kein Auge zudrücken: Ein Minuspunkt für deutsch-europäische Dekadenz.
Manfred: „Aber wir nehmen doch auch welche auf, gewähren ihnen Asyl und so weiter.“
Aaa: Stimmt, alle Hungernden und Leidenden der Welt finden in Deutschland Unterschlupf.
Manfred: „Musst du es so sarkastisch ausdrücken?“
Aaa: Musst du dich gegen einen Minuspunkt wehren, den du ehrlich verdient hast? Also noch einen für Anmaßung. Niemand sollte seinen Gott in Frage stellen.
Manfred: „Das ist nicht fair …“
Aaa: Wenn das Leben fair wäre, lieber Manfred, dann wäre ich nicht euer Schöpfer!
Manfred: „Sondern? Korrupter Richter in Italien?“
Aaa: Nein, einfach kein Gott der Menschen. Aber das ist leider ein Job, den man nicht einfach wegen einer Midlife Crisis kündigen kann.
Manfred: „Warum hast uns dann überhaupt erschaffen?“
Aaa: Lass es mich als göttlichen Stuhlgang bezeichnen. Muss ich auf’s Klo, erschaffe ich Lebensformen. Das ist leider so. Nur, wo ihr eure Abfallprodukte einfach runterspülen könnt, klettern sie bei mir aus der Toilette und verlangen auch noch, bei mir im Bett schlafen zu dürfen.
Manfred: „Und dann siebst du uns aus? So nach dem Motto, wer vielleicht doch was taugt und wer durchaus runtergespült werden sollte? Ist es das, worum’s bei Himmel und Hölle geht?“
Aaa: Würdest du gern mit einem Durchfall unter’m Kopfkissen schlafen?
Manfred: „Und das machst du an Schweinefleisch und Zucker fest? Ernsthaft?“
Aaa: Plus Krabben und Masturbation. Ob du’s glaubst oder nicht, das hat sich als echt effektives Mittel erwiesen. Was anderes: Hast du am 23. Geburtstag deines besten Freundes wirklich versucht, seine Freundin zu küssen?
Manfred: „Ich war betrunken … und verzweifelt. Und immer noch Jungfrau!“
Aaa: Was ist an einem sexlosen Dasein so schlimm? Auf was du um Leben verzichtest, wird dir im Himmel tausendfach gegeben.
Manfred: „Wirklich?“
Aaa: Lachte. „Natürlich nicht. Was du im Leben verpasst hast, hast du verpasst. Trotzdem gibt’s einen Minuspunkt. Ab jetzt hagelt es Minuspunkte: Verflucht hast du oft gelogen! In der Schule, im Studium, im Lebenslauf – fast täglich!
Manfred: „Mehr als jeder andere?“
Aaa: Nein. Ein bisschen weniger sogar. Aber das macht es nicht weniger gut. Du hast gerade fast einhundert Minuspunkte pro Jahr gut gemacht! Einen für jede Lüge, die Schaden anrichten konnte.
Manfred: „Zählt es in deiner Abrechnung, dass ich Katharina Sirtler immer mit ihren Studienarbeiten geholfen habe?“
Aaa: Aus reinem Eigennutz. Als du bemerkt hast, dass du wohl nicht an ihr Höschen darfst, hast du deine selbstlose Hilfe gleich wieder eingestellt. Dafür gibt’s sogar einen Minuspunkt wegen unlauterer Annäherung.
Manfred: „Und Peter, den ich immer von den Feiern abgeholt habe? Mit meinem Auto und meinem Benzin, ohne einen Pfennig dafür zu verlangen!“
Aaa: Ebenfalls der Eigennutz.
Manfred: „Aha?“
Aaa: Er hat dir dafür Aufmerksamkeit geschenkt.
Manfred: „Das ist Schwachsinn!“
Aaa: Nur aus der beschränkten Sicht eines Sterblichen.
Manfred: „Wenn du das so sehen willst, ist alles, was der Mensch tut, eine egoistische Tat!“
Aaa: Jetzt hast du es verstanden!

***

Sie schwiegen. Manfred, um seine letzten Sekunden außerhalb der Hölle zu zählen und Jafahntal’aaa’nsgk, um das Leben des Diplomingenieurs komplett auseinander zu nehmen. Einige seiner Gesichter grinsten sogar schelmisch. Die meisten schienen aber eher daran zu arbeiten, sich selbst die Augen aus den Höhlen zu lecken. Eines war sogar kurz davor, es auch zu schaffen.

Manfred: „Ich kann das alles einfach nicht glauben …“
Aaa: Enttäuscht?
Manfred: „Ja, das ganz besonders.“
Aaa: Weil du Katharina Sitler damals nicht trockenschwängern konntest?
Manfred: „Trockenschwängern?“
Aaa: Fleischlich Sündigen ohne das Ziel, ihr ´nen zukünftigen Sünder schenken. Ist übrigens eine Sünde. Hättest du es geschafft, hätt’s dich noch einen Punkt gekostet.
Manfred: „Katharina ist mir gerade herzlich egal! Du schickst mich wohl wirklich in die Hölle. Das ist mein Problem! Nicht, weil ich jemanden umgebracht oder vergewaltigt habe; noch nicht mal, weil ich ein Ketzer war, sondern weil ich masturbierte, in Deutschland geboren wurde, Schweinefleisch bei uns nicht mit dem Tod bestraft wird und ich bei einer Lücke im Lebenslauf tricksen musste. Ansonsten habe ich aber sogar ein recht christliches Leben geführt!“
Aaa: Kein Christ führt so was wie ein christliches Leben. Darum geht’s doch im Christentum: Man baut Scheiße, tut so, als würde man sich ganz furchtbar schlecht fühlen und versucht, die Sünde wegzubeten. Schade nur, dass ich nicht der totale Vollidiot bin, für den mich jeder zweite Pfarrer hält.
Manfred: „Schade, dass dich nur Satanisten für einen irren Diktator halten.“
Aaa: Mal halblang, ja? Verurteile ich sündige Gedanken? Oder Zweifel? Oder Häresie? Meine Grundregeln sind ziemlich klar – zehn Gebote und so. Dass ihr trotzdem am laufenden Meter lügt, betrügt und euch wegen irgendwelchen Eifersüchteleien gegenseitig abmurkst, ist halt das, warum ich hier eigentlich gleich einen Abfluss in Richtung Hölle einbauen könnte, anstatt mir überhaupt die Mühe mit dem Bewerten zu machen.
Manfred: „Das sind komplett überzogene Relationen! Ein Mörder gehört natürlich in die Hölle. Aber weil ich an der Uni ein Mädchen ins Bett kriegen wollte, werde ich bis in alle Ewigkeit ein Folterspielzeug sein?“
Aaa: Genau genommen bist du Toast! Also, wenn man sich die Hölle als eine Feuergrube vorstellt. Ganz genau genommen bis du Treibstoff.
Manfred: „Wie soll ich das verstehen?“
Aaa: Na ja, zum Thema Hölle steht in der Bibel zum Bleistift eher was von wegen ewiger Tod als ein riesengroßer Folterpark. Im Koran-Update ist die Beschreibung sogar noch ein bisschen genauer: Ein Brennofen. Genau das ist die Hölle: Einige Milliarden Brennöfen, wo die Seelen der Sünder die Wärme für den Schöpfer liefern, den sie ja irgendwo ziemlich enttäuscht haben.
Manfred: „Es müssen menschliche Seelen verbrannt werden, damit du leben kannst?“
Aaa: Ja und Nein. Sieh es als Fußbodenheizung: Ein beheizter Fußboden ist der Hammer. Man kann ohne ihn leben, aber wenn man ihn einmal erlebt hat, eigentlich auch schon nicht mehr. Der Himmel ist voller Wunder, weit mehr als nur ein Currywurstbrunnen und ein Schokoladenvulkan, und die müssen ja irgendwie mit Energie versorgt werden, um auch zu funktionieren. Und da kommen die Sünderseelen ins Spiel.
Manfred: „Strom aus einer himmlischen Steckdose …“
Aaa: Der Vergleich ist gut! Den merke ich mir für den nächsten Sünder mit zu vielen Fragen.
Manfred: „Ich werde für alle Ewigkeit brennen?“
Aaa: Ach iwo! Ein normaler Sünder verbrennt sogar ziemlich fix. Hundert Jahre vielleicht.
Manfred: „Und das fühlt sich an wie …?“
Aaa: Verbrennen. Nur halt hundert Jahre lang. Wobei du dich die letzten dreißig kaum dran erinnern wirst, wer du mal warst oder warum du brennst.“
Manfred: „Und dann?“
Aaa: Wie? Und dann?
Manfred: „Was ist nach den hundert Jahren?“
Aaa: Dann bist du verbrannt.
Manfred: „Also vollkommen aufgelöst?“
Aaa: Ach iwo! Die Seele ist schon unsterblich, da haben meine Propheten nicht gelogen. Von dir bleibt sogar was übrig, so Art Seelenbrösel, so wie Asche übrig bleibt, wenn man einen Menschen nach seiner Brennbarkeit überprüft. Es fühlt sich also nicht viel anders an, als dreißig Jahre Ehe.
Manfred: „Was?“
Aaa: War ein Witz! Du wirst ungefähr so viel mitbekommen wie richtige Asche, also gar nichts und auch sonst nicht mehr viel machen, außer mit deinen Aschefreunden auf einem riesigen Aschehaufen herumzuliegen Manchmal vereinen sich aber diese Seelenfragmente zu einem rachsüchtigen Dämon, der vom Schmerz tausender verbrannter Sünder geleitet wird. Was gut ist, denn den kann man gleich nochmal und sogar besonders ergiebig verbrennen.
Roland Piersing: „Mein Gott …“
Aaa: Genau der würd’ dir empfehlen, an ein Jenseits-Jenseits zu glauben – also, dass nach dem Verbrennen noch ein weiteres Jenseits kommt, wo du dann für dein Leiden belohnt wirst oder so. Von mir aus auch mit vierzig Jungfrauen. Macht es leichter. Wenigstens den Anfang, bevor im Schmelztiegel verschwindest. Danach wirst du an nichts anderes mehr denken können, außer, dass du gerade verbrennst.
Manfred: „Mein Gott …“
Aaa: Immer noch ich.
Manfred: „Hätte ich das nur gewusst …“
Aaa: Hätten doch nur alle Religionen der Welt wieder, wieder und immer wieder davor gewarnt!

Manfred und Roland (der zwar hier erwähnt wird, innerhalb dieser Geschichte aber sowas von keine Rolle spielt) sanken auf die Knie. In seiner Verzweiflung blickte der Ingenieur zum Himmel, ob es dort vielleicht noch einen Gottesgott gab, der helfen hätte können; zu der Bushaltestelle, aber dort schienen nur die wenigsten zu landen und schließlich zu den Toren. Da war ja noch ein Graues, zwischen Inferno und Paradies …

Manfred: „Was hat es damit auf sich?“
Aaa: Ist der Limbus.
Manfred: „Soll heißen?“
Aaa: Sieh es als so ´ne Art Schuhkarton unter‘m Bett, in dem man die Sachen verstaut, die man nicht wirklich braucht, aber auch nicht wirklich wegwerfen will.
Manfred: „Wer kommt da rein?“
Aaa: Alles Mögliche: Vegetarier, zum Bleistift, die nichts Böses getan haben, abgetriebene Föten, Totgeburten, Mormonen, Pfadfinder, Aquarellmaler – einfach Leute, die’s nicht verdient hätten, in der Hölle zu brennen, aber im Himmel nerven würden. Ich verstau‘ sie im Limbus und lass mir bei Gelegenheit was für sie einfallen.
Manfred: „Wie ist es dort?“
Aaa: Ziemlich genau wie in einem Schuhkarton. Aber mach dir darüber keine Gedanken! Da kommst du garantiert nicht hin! Für dich wird es wohl eher warm werden.
Manfred: „Das kann doch nicht wahr sein!“
Aaa: Lachte. „Haha! Das hat Abraham Lincoln auch gesagt! Gottseidank muss ich sein Birnengesicht nicht im Himmel ertragen! Kriegstreiber kommen bei mir immer in die Hölle.
Manfred: Wir sind für dich nicht viel mehr als Heizöl!“
Aaa: Feuerholz. Ich würde euch doch eher zu den erneuerbaren Energiequellen zählen. Und hey, wenigstens bin ich ehrlich! Im Gegensatz zu dir: Mit 43 bist du ja zum richtig fleißigen Lügner geworden. Minuspunkte über Minuspunkte. Gab’s da einen Grund?
Manfred: „Ich wurde Abteilungsleiter.“
Aaa: Das schickt normalerweise sogar die Besten ins Fegefeuer.
Manfred: „Die Menschen im Himmel … das sind doch moralisch absolut gefestigte, von mir aus rechtschaffene Leute. Wie kommen die damit zurecht, dass ihre Badewannen mit Seelen beheizt werden?“
Aaa: Och, die denken darüber nicht zu viel nach. Nicht, dass sie am Ende selbst im Ofen landen.
Manfred: „Du bist ein Monster!“
Aaa: Ist ein Mensch ein Monster, weil er als Kind zum Spaß Ameisen zertreten hat? Oder nachts eine Mücke zermatscht? Oder hinter der Theke von ´ner Metzgerei arbeitet? Hätte ich sowas wie Artgenossen, würden sie’s verstehen. Für euch ist das halt gleich eine unfassbare Untat! Wie man nur so etwas tun? Und dann auch noch so denken! Oh Gott! Wieso bist du so? – so hört ihr euch übrigens an!
Manfred: „Was ist bei dir schief gelaufen?“
Aaa: Meeep! Minuspunkt! Laut der Bibel darf man sich nicht fragen, was ich vor der Erschaffung des Universums gemacht hab‘! Absolutes No-Go!
Manfred: „Du bist einfach nur ein Monster!“
Aaa: Ich habe euch erschaffen. Ohne mich gäbe es keine Menschen, keinen Hamburger und keine Pornografie. Es gäbe kein Sonnenlicht und keinen Caipirinha! Keinen Jazz! Es gäbe nicht einmal sowas wie die Idee von Freude! Das mit dem ewigen Leben ist allein euer Anspruch! Und du nennst mich ein Monster, weil ich es euch, halt unter Auflagen, sogar möglich mache? Sorry, aber den Schuh zieh‘ ich mir nicht an und für den Rest unserer Sitzung bitte ich dich die Klappe zu halten, danke!
Manfred: „Und wenn nicht?“
Aaa: Dann wirst du nie eine gehabt haben! Ja, ich kann in die Vergangenheit zurückreisen – zeitloses Wesen und so – und dafür sorgen, dass du ohne Mund geboren wirst! Und bei Gott, das werde ich tun! Ich mach‘ eine verdammte Hellen Keller aus dir, wenn du jetzt nicht endlich still bist!
Manfred: „Wer … Wer ist Hellen Keller?“
Aaa: Jemand, der sich sehr, sehr, sehr schlau vorkam. Und als er’s nicht sein lassen konnte,  machte ihn zu einer Frau und dazu noch taub, stumm und blind.
Manfred: „Gottes Hundeknochen …“
Aaa: Seit dem Bandwurm sollte man eigentlich wissen, dass ich Spaß dran hab‘, Lebewesen zu misshandeln.

***

Den Rest der Bewertung schwieg Manfred. Sein Verstand nutzte währenddessen die Zeit, um in den düstersten Gedanken seines Lebens (und Todes) zu versumpfen und Jafahntal’aaa’nsg seufzte, pfeifte und schmunzelte, während er ein rotes X nach dem anderen in Manfreds Biografie setzte. Manfred konnte schwören, dass er bei jedem blauen Haken so etwas wie Missmut oder Enttäuschung zeigte – je nach Gesicht.

Schließlich ging das Sünderversenken seinem Ende entgegen. Ein paar der Gesichter (und mindestens zwei Kniekappen) schüttelten die Köpfe, ein paar seufzten und eines fraß den Bewertungsbogen, bevor die anderen reagieren konnten. Was Manfred aber auch nicht mehr rettete.

Allerdings hatte das etwas zu bedeuten. Und das wiederum konnte vielleicht –

Aaa: Manfred Gütermann, ich bin zu einem Urteil gekommen.
Manfred: „Dass du dem verrückten Gesicht den Mund zuklebt?“
Aaa: Das hab‘ ich schon oft versucht, aber er frisst sogar Isolierband und die Magenschmerzen danach muss trotzdem wieder ich ertragen. Egal! Um nun zum Ergebnis meiner reiflichen Überlegung zu kommen –
Manfred: Was in der Bibel und der Kabbala oder sonst wo stehen ist wahr, stimmt‘s?“
Aaa: Mal von den ganzen Logiklücken und –
Manfred: „Aber die Regeln! Die scheinen einigermaßen zu stimmen! So von wegen, dass du  allmächtig bist, aber keine Schrimps, kein Morden, keine Vorhaut, keine Frauen magst – so in der Art!“
Aaa: Worauf willst du hinaus?
Manfred: „Gott ist unendlich gnädig. Er verzeiht immer. So steht es in jedem deiner Updates.“
Aaa: Dass man die Klauseln von wegen Änderungen vorbehalten alle dreihundert Jahre rauskürzt, wird dich jetzt nicht retten, mein Kind.
Manfred: „Von mir aus, aber ich werde auch nicht verurteilt! Diese Regeln gelten nämlich anscheinend bis zu einem gewissen Grad auch für dich, ansonsten hättest dieses Papierfresser-Gesicht einfach wie einen Pickel platzen lassen, anstatt ihm den Mund zuzukleben. Und wenn ich jetzt richtig kombiniert habe, muss ich folgendes tun: Ich bereue.“
Aaa: Och nö! Was wird das denn jetzt?
Manfred: „Ich bereue, dass ich Julia Bauer nie angesprochen habe. Ich bereue, dass mich Daniel jahrelang herumschubsen durfte. Ich bereue, dass ich am Ende nur noch für meine Arbeit gelebt und mich darüber definiert habe, obwohl ich immer Familie gründen wollte. Ich bereue, dass ich nicht einfach über meinen Schatten springen konnte, sondern Franziska, die einzige Frau, die mich wirklich verstanden hat, gehen lassen habe, weil sie zu dick war. Ich bereue meine oberflächliche Art, die sie nicht verdient hatte!“
Aaa: Übertreibst du nicht ein wenig?

Manfred sank auf die Knie und wollte nun eigentlich ein paar Tränen aus den Augenlidern pressen. Wie sich aber herausstellte, musste er sich dafür gar nicht besonders anstrengen – Todesangst und ehrliche Reue können da anscheinend einiges bewegen.

Manfred: „Ich bereue, meine Lebenszeit gleichgültig verschwendet zu haben. In einem Punkt hattest du nämlich Recht: Was aus meinem Leben, meiner Zeit und der Welt wird, war mir egal! Das ich Menschen wehtat, war mir egal! Dass ich sie nach für mich nützlich und unnütz eingeteilt habe! Das sind meine Sünden: Ignoranz, Egoismus, Wollust. Ich bereue sie! Von ganzem Herzen! Und nicht nur, weil sie mein ganzes Leben wertlos und sinnentleert gemacht haben! Ich bereue sie! Bitte erbarme dich meiner, o Herr!“
Aaa: Du blödes Arschloch!
Manfred: „Ja, das bin ich. All die Namen, die du mir die letzte halbe Stunde gegeben hast, ein Sünder, ein Lügner, gierig nach Aufmerksamkeit, das bin ich. Und ich verachte es … und bereue es, so gewesen zu sein!“
Aaa: Seufzte. „Ihr Götter, wie ich es hasse, wenn ihr Klugschwätzer die Lücken im System des Ersten Universums findet!
Ein Typ hinter Manfred: „Ich bereue auch! Ich war ein schlechter Vater! Ich habe meinen Sohn praktisch dazu genötigt, mich zu erschießen!“
Typ hinter dem Typen: „Und ich ein schlechter Sohn! Ich wurde praktisch dazu genötigt, ihn zu erschießen!“
Roland Piersing: „Und ich ein hundsmieser Taxi-Fahrer. Ich hab‘ nicht mal einen Führerschein gehabt!“
Aaa: Jetzt geht das wieder los! Und ich muss wieder Zeugen entsorgen! Danke, Manfred! Okay, ihr da, die das jetzt mitbekommen haben: Ihr wandert direkt in den Limbus! Und … Abflug!

Dunkle Wolken jagten über den Purpurhimmel. Sie erfassten die Theophanie-Teerklumpen und ließen sie zu Hunderten an den goldenen Gravurplaneten zerplatzen (die dann dementsprechend mit schwarzen Punkten gesprenkelt wurden). Ein violetter Blitz jagte über das Firmament.

Mehr als zwanzig Seelen, die eben noch hinter Manfred angestanden hatten, wurden auf einmal wie von einem Sturm erfasst, von ihren Plätzen gerissen und in das graue Tor gesaugt. Einer stieß dabei gegen den Schreibtisch, machte einen unkontrollierten Bogen und wirbelte stattdessen durch den goldenen Torbogen in Richtung Elysium. Einen anderen bekam das verrückte Gesicht zu fassen. Es packte ihm am Kragen und verschlang ihn auf der Stelle – wie eine Anakonda, die ein Automobil einsaugt (den das Gesicht war relativ klein, um einen relativ fülligen Mittfünfziger zu fressen). Aber anstatt zur Gänze verschluckt und als ein Schuh voller Schleim wieder herausgerülpst zu werden – wie in miesen Filmen –, blieb die Mahlzeit ab der Hälfte stecken und ließ nicht einmal mehr ausspucken. Das verrückte Gesicht hustete, röchelte, kämpfte und lief sogar blau an. Das aus seinem Mund hervorragende Beinpaar trat dagegen wild um sich, woran sich wiederum die anderen Steingesichter störten. Als es ein Skrotum traf, verzogen sie alle den Blick. Das war definitiv keine von Gottes großen Stunden.

Der Wind heulte über die Täler aus Kristallspitzen. Aus den hunderten Kehlen, Ohren und Genitalien des Weltenschöpfers Jafahntal’aaa’nsg mahlte ein wütendes Grollen.

Aaa: SIEH NUR, WAS DU ANGERICHTET HAST! DER WIRD DA NOCH EINIGE EWIGKEIT DRIN STECKEN! DAS WIRST DU BEZAHLEN! BITTER BEZAHLEN! DU HAST DAS HÖLLENFEUER ZWAR NICHT VERDIENT, ABER DER HIMMEL BLEIBT DIR AUCH VERWEHRT! DENN NOCH SCHREIBE ICH DIE REGELN! Weißt du, wann du ins Paradies kommst?! Weißt du wann?!
Aaa: Begann nach Gründen zu suchen:         „Und zwar: Wenn jemand ein Buch schreibt … bei dem … die Sonne … an einen Außerirdischen … verschenkt wird! Ja genau! SO WIRD ES SEIN! Bis dahin wartest du mit den anderen Klugscheißern auf der Bank! Und zwar solange, bis du mich anflehen wirst, in der Hölle verdampft zu werden! Und wenn es soweit ist, wenn du hier einen auf Publius Cornelius Tacitus machst, weißt du, was ich dann sagen werde?
Manfred: „Ich bereue es, euch ein mieser Schöpfer gewesen zu sein?“

***

So erfuhr Manfred wenigstens, was diese armen Seelen – wie z.B. Straton vom Lampsakos, Friedrich Nietzsche und der Verstand von Mariah Carrey (der schon mal vorausgegangen war und auf Erden eine geistlose Hülle zurückgelassen hatte) – auf die Wartebank aus Bimsstein gebannt hatte: Logiklücken im großen Plan des Schöpfers, gepaart mit der Fähigkeit, diese zu erkennen. Manfred hätte vermutlich enttäuscht sein sollen, aber irgendwie gefiel ihm das so unendlich viel besser, als hundert Jahre zu nichts verbrannt zu werden. Und irgendwann würde schon jemand so ein Buch schreiben. Einfach der Wahrscheinlichkeit halber.

Der aus Rechtslücken heraus verschonte Sünder wollte sich gerade setzen, für die nächsten Jahrmillionen eben, sich vorstellen, Kontakte knüpfen, vielleicht Lou von Salomé nach ihrer Nummer fragen (auch wenn er sie für Marie Curie hielt) und überlegte auch schon, die nächsten Jahrtausende lang, den Sündern Tipps zum Überleben zuzubrüllen, aber auch dazu kam er nicht.

Denn genau in diesem Moment tippte Andreas Eschbach die Lettern ENDE am Ende seines neuesten Werks: Eine seichte Science-Fiction-Komödie namens Kelwitts Stern, in der die Erdsonne an den namensgebenden, neugierigen und gutherzigen Außerirdischen Kelwitt verschenkt wird. Aus irgendeinem Grund glaubte er, nur für den Bruchteil einer Minute, jemand damit etwas Gutes getan zu haben, woher das auch immer. Dann bekam er einen seiner üblen Ausraster, hampelte wie von der Hornisse gestochen durch die Wohnung und aß ein paar Meter Kupferdraht. Halt das, was Andreas Eschbach immer tat, wenn er einen Roman fertigstellte.

(Sollte ich jemals Autor werden, werde ich diese Aussage bereuen)

– Maxx, 2005

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